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Krimireihe Gelungene Sozialstudie - Der „Polizeiruf“ aus Halle

Ein kleines Mädchen stirbt qualvoll in einem Garten. Koitzsch und Lehmann müssen in ihrem zweiten „Polizeiruf 110“-Fall aus Halle Vorurteile und Klischees aus dem Weg räumen, um den Mörder zu finden.

Von Sabrina Gorges, dpa 21.04.2024, 14:26
Henry Koitzsch (Peter Kurth) und Michael Lehmann (l, Peter Schneider) ermitteln.
Henry Koitzsch (Peter Kurth) und Michael Lehmann (l, Peter Schneider) ermitteln. Felix Abraham/MDR/filmpool fiction/dpa

Halle - „Die Inka ist weg. Also unsere Kleine. Die kommt einfach nicht nach Hause.“ Als die Mutter des Mädchens voller Sorge den Notruf wählt, um das Verschwinden der Polizei zu melden, sitzt Kommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth) gedankenverloren auf dem Marktplatz von Halle. Er hat wieder getrunken, der Führerschein ist weg.

Er und Kommissar Michael „Michi“ Lehmann (Peter Schneider) bekommen den Vermisstenfall auf den Tisch. Da ist die Achtjährige schon den zweiten Tag wie vom Erdboden verschluckt. Erste Ermittlungen führen zu der Schule. „Die ist so 'ne kleine Stille. So 'ne Eigenbrötlerin“, beschreibt Lehrerin Monika Hollig (Susanne Böwe) die Verschwundene. Und während Lehmann betend hofft, die Grundschülerin lebend zu finden, treibt seinem derb gestrickten Kollegen Koitzsch eine grausige Vorahnung um, die sich bestätigt. Inka liegt tot in einer Kleingartenanlage.    

Das Erste zeigt die neue Folge „Der Dicke liebt“ der Reihe „Polizeiruf 110“ aus Halle am Sonntag um 20.15 Uhr. Fast drei Jahre hat es bis zur Ausstrahlung des zweiten Falls von Koitzsch und Lehmann in der sachsen-anhaltischen Saalestadt gedauert. Wie schon bei „An der Saale hellem Strande“, im Mai 2021 zu sehen, führt der Leipziger Thomas Stuber Regie. Gemeinsam mit Autor Clemens Meyer hat er auch das Drehbuch für „Der Dicke liebt“ geschrieben. Beide sind als eingespieltes Team auch für einige Kinofilme wie „Herbert“ oder „In den Gängen“ verantwortlich.   

Bei den Ermittlungen zum Tod des kleinen Mädchens gerät bald darauf der sehr engagierte Mathelehrer Krein (Sascha Nathan) in den Fokus. Der große, übergewichtige Mann (im Film ohne Vornamen) lebt allein in einer tristen Plattenbauwohnung voller Kuscheltiere. Er ist ein eigenartiger Geselle, stets fahrig und immer nass geschwitzt. Als Lehrer opfert er sich auf, doch wie innig ist das Verhältnis zu seinen Schülerinnen wirklich? Koitzsch und Lehmann wissen inzwischen, dass es sich um einen bestialischen Sexualmord handelt. Das blond gelockte Mädchen ist erst gequält worden und dann durch einen Genickbruch zu Tode gekommen. „Der Täter muss ein ziemliches Gewicht gehabt haben“, sagt der Gerichtsmediziner nach der Obduktion. 

Koitzsch verliert sich in Alleingängen, lässt seinen Kollegen oft außen vor. Er will den gläubigen Familienvater nicht mit dem „Kindermord“ belasten. „Ich brauche dich ausgeruht, Michi. Guck mich an. Willst du, dass hier zwei Zombies ermitteln?“ Obdachlose aus der Gartenanlage werden befragt, auch ein bekannter Pädophiler. In einem der Bungalows finden Koitzsch und Lehmann versteckte Spielsachen von Inka. Auch viel Geld in einem Kinderportmonee. „Vielleicht sind das alles Geschenke“, sinniert Koitzsch. 

Währenddessen entlädt sich gegenüber dem Lehrer Krein ein aufgebrachter Mob, als dieser mit der Schülerin Juli nach deren Nachhilfe ein Eis essen geht. „Du bist der Kinderficker“, sagt der Wortführer. In der Schule hat jemand „Der Dicke liebt Juli“ an die Tafel geschrieben. Immer wieder wird er gedemütigt. Kann Krein dem Druck standhalten? Das Ende ist ebenso überraschend wie schockierend. Die Lösung des aufreibenden Falls führt über ein Altenheim an eine Oberschule. „Ruf schon mal die Chefin an. Wird 'ne harte Nummer“, sagt Kommissar Koitzsch zu seinem Kollegen, der sich daraufhin einen Schluck aus dessen Flachmann gönnt. 

„Der Dicke liebt“ ist eine einfühlsam erzählte, gelungene Sozialstudie. Eine Kampfansage gegen Vorurteile, Klischees und Vorverurteilung. Sascha Nathan ragt in seiner Rolle als leidender, kuscheltierliebender Pädagoge ohne Freunde und Familie heraus, die sensibel eingesetzte Musik von Bert Wrede sorgt in vielen Momenten beim Publikum für Gänsehaut. Peter Kurth und Peter Lehmann überzeugen als der Raubeinige und der Sensible. Oder wie Kurth es einmal formuliert hat: „Henry Koitsch und Michael Lehmann haben ein Vater-Sohn-Verhältnis. Das Interessante daran ist, dass man nie weiß, wer der Vater oder der Sohn ist.“